„Es war richtig, dass wir das Virus zunächst in einer nationalen Kraftanstrengung bekämpft haben. Aber genauso richtig ist es, dass wir mit den Lockerungen der Corona-Beschränkungen jetzt mehr Verantwortung von der nationalen auf die regionale Ebene übertragen. Denn die Verhältnisse in ganz Deutschland können nicht über einen Kamm geschoren werden. Wir müssen den Menschen wieder mehr zutrauen und das Pendel zwischen Freiheit und Sicherheit wieder stärker ins Gleichgewicht bringen.
Bis es einen Impfstoff gibt werden seriös betrachtet Monate oder Jahre vergehen und es können bis zu diesem Zeitpunkt nicht alle Deutschen im Homeoffice arbeiten. Insofern ist eine offene Diskussion über Lockerungen und das Hochfahren von Wirtschaft, Gastronomie, des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens etc. völlig richtig und unverzichtbar. In den ersten Wochen der Pandemie haben wir den Argumenten und Ratschlägen der Virologen besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Dieser Support bleibt wichtig und ergänzend müssen wir jetzt mehr Experten an einer offenen Diskussion beteiligen, die unseren Blick wieder etwas weiten. In Momenten höchster Gefahr ist eine Fokussierung auf das Wesentliche richtig, doch jetzt ist es wieder an der Zeit, den Blick zu weiten.
Hygiene- und Abstandsregeln sind und bleiben weiterhin elementare und notwendige Aspekte der Pandemiebekämpfung. Da gibt es keine Abstriche. Aber wir müssen auch schauen, dass wir wieder Vertrauen aufbauen. Wir brauchen einen klar kommunizierten Stufenplan, der insbesondere auch bei den Verbrauchern wieder Vertrauen aufbaut. Mit Maßnahmen wie Prämien für die Autoindustrie, die ich kritisch sehe, allein ist es nicht getan. In einem unsicheren Klima werden sich Menschen, die vielleicht in Kurzarbeit sind oder denen Arbeitslosigkeit droht, bereits bei mittleren, jedoch nicht notwendigen oder bei teuren Investitionen eher zurückhalten.
Schweden gewährt Firmen keine staatlichen Unterstützungen mehr, wenn sie während der Corona-Krise Dividenden ausschütten. Kleine und mittlere Unternehmen sind das Rückgrat unserer Wirtschaft. Daher bin ich der Auffassung, dass wir klare Regelungen für Konzerne brauchen, die nun Unterstützung vom Bund oder den Ländern haben möchten. Staatliche Beihilfen und hohe Boni für Vorstände und hohe Dividenden für Aktionäre – das passt nicht zusammen! Und ich befürchte weiterhin, dass sich insbesondere Konzerne neben der staatlichen Unterstützung ihre entgangenen Gewinne auch durch künftig sehr extreme Sparkurse bei ihren zumeist mittelständischen Zulieferbetrieben zu Teilen zurückholen werden. So hat es auch in der letzten Welt- und Finanzkrise 2008-2010 die inhabergeführten Unternehmen nicht nur während sondern auch im Nachgang der Krise hart getroffen.
Die Unternehmen und Unternehmer hier vor Ort in Remscheid brauchen unsere Unterstützung in der Krise. Um sie zu unterstützen und ihre Fragen zu beantworten, könnte ich mir zum Beispiel sehr gut eine digitale Unternehmens-Sprechstunde als „Runden-virtuellen-Tisch“ der Wirtschaft – zusammen mit der Wirtschaftsförderung vorstellen. Bereits zum Ende des vergangenen Jahres hat die MIT einen solchen Gedankenaustausch zwischen Wirtschaft / Unternehmen / Baken und Sparkassen sowie der hiesigen Wirtschaftsförderung initiiert und ist auf ein sehr positives Echo der Beteiligten gestoßen. Wir als MIT und Stimme der mittelständischen Wirtschaft bieten gerne trotz oder gerade wegen eigener Betroffenheit in den Unternehmen Unterstützung an und stehen der Wirtschaftsförderung zur Umsetzung zur Verfügung.
Nachdem in den letzten Wochen der städtische Krisenstab das Sagen hatte, normalisiert sich auch der politische Betrieb wieder. Vor der Kommunalwahl im September tagen die politischen Gremien noch. Ich hoffe, dass diese Sitzungen sich mit den noch offen Fragen Remscheids beschäftigen. Wie geht es weiter mit dem DOC? Wie ist der aktuelle Sachstand bei unseren Gewerbegebieten? Als ‚Seestadt auf dem Berg‘, die auf den Export angewiesen ist und bisher von der Globalisierung profitiert hat, können wir uns wirtschaftspolitischen Stillstand nicht leisten. Wirtschaft und Gesundheit sind kein Gegensatz. Eine florierende Wirtschaft ist Voraussetzung für sozialen Wohlstand und sozialen Frieden. Dass jetzt FDP-Politiker wie Herr Kemmerich mit zweifelhaften Kreisen gegen die Corona-Beschränkungen demonstrieren, halte ich für kein gutes Zeichen. Daher brauchen wir jetzt eine offene Debatte über Schritte hin zu einer verantwortungsbewussten Zukunftsorientierung, denn Normalität, so wie wir sie kannten, wird es in Kürze kaum geben können. Machen wir uns nichts vor: Sollten wir große wirtschaftliche Probleme mit sehr vielen Arbeitslosen und Menschen bekommen, denen die Existenzgrundlage wegbricht, dann könnten ganz schnell ungemütliche Zeiten anbrechen. Daher ist ein Plädoyer für ein schrittweises Hochfahren unserer Wirtschaft auch kein Zeichen von Leichtsinnigkeit, sondern von Sorge um den sozialen Zusammenhalt.“